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Leitartikel September

Kontrolle und Vertrauen

 

Standort, Schritte, Schlafenszeit… Wenn es nach meinem Smartphone ginge, hätte es am liebsten den vollen Zugriff auf mein Leben. Im Gegenzug verspricht es mir eine Illusion von Kontrolle. Wieviel davon brauche ich eigentlich?

Ich gebe es zu: Zumindest ein Stück weit bin ich dieser Illusion von Kontrolle verfallen. Wie viele Schritte sind es noch bis zu meinem Tagesziel? Wird es trotz Verspätung klappen mit dem knappen Anschluss? Beginnt es schon in fünf oder erst in zehn Minuten zu regnen? Ist das Päckli schon angekommen und was genau macht eigentlich der Staubsaugerroboter? Der treue Begleiter in meiner Hosentasche kennt die Antworten. Mit nur einem Gerät habe ich buchstäblich alles im Griff.

Grundvertrauen in der Natur
In einem geradezu erfrischenden Kontrast zum alltäglichen Kontrollwahn steht das, was wir in diesen und dem kommenden Tagen draussen in der Natur beobachten können. Der Herbst steht vor der Tür: Schon bald werden in den Morgenstunden wieder Nebelbänke über Reuss und Ron liegen, die Äpfel hängen schwer und süss an den Bäumen und die Blätter beginnen sich zu verfärben. Für die Bäume scheint es auf wunderbare Weise klar zu sein, dass im nächsten Frühling neue grüne Blätter wachsen werden und dass aus ihren Früchten auch ohne weiteres Zutun Neues entstehen wird. Auch ohne ständige Rückversicherung wohnt ihnen ein bemerkenswertes Grundvertrauen in die Zukunft inne.

Die Jünger und das Vertrauen
In diesem Zusammenhang beeindrucken mich die biblischen Szenen, in denen Jesus das Vertrauen und den Glauben der Jünger auf dem stürmischen See herausfordert:

Warum habt ihr solche Angst?
Habt ihr noch keinen Glauben?,

stellt er sie im Markusevangelium zur Rede. Noch etwas zugespitzter wird die Situation im Evangelium nach Matthäus, als Jesus Petrus auffordert, auf dem Wasser zu ihm zu kommen. Als dieser sich des Kontrollverlustes bewusst wird, droht er unterzugehen und wird von Jesus zurechtgewiesen: «Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?»

Wieviel Kontrolle brauche ich eigentlich? Bestimmt nicht so viel, wie es mir mein Smartphone tagtäglich weismachen möchte. Vielleicht gelingt es uns in diesen Herbsttagen, inspiriert von den bunten Blättern und den saftigen Früchten, ganz bewusst einmal ein wenig darauf zu verzichten, alles unter Kontrolle haben zu wollen. Vielleicht erschliessen uns die einen oder anderen Schritte ins Ungewisse ganz neue Perspektiven. Vielleicht schärfen solche Schritte die Sinne für unsere Nächsten. Und ziemlich sicher eröffnen sich beinahe vergessene Räume – Räume des Vertrauens, Räume des Glaubens.

Silvan Wyss
Leiter Katechese/BIG