Leitartikel Januar
Mit Blick zurück voraus
Wenn das alte Jahr geht und das neue beginnt, entstehen besondere Momente. Seit alters ist das so: Die sogenannten «Raunächte» sind eine mystische Übergangsphase zwischen Weihnachten und Dreikönigstag. Man hängt etwas «in der Luft». Die Gefühle sind in diesen Tagen oft etwas widersprüchlich.
Janus, der römische Gott
Genau dort – zwischen den Zeiten – steht Janus, der alte römische Gott. Ihm verdankt der Januar seinen Namen. Sie sehen Janus abgebildet auf einer Münze.
Janus hat zwei Gesichter. Eines schaut zurück, das andere nach vorn. Er war der Hüter der Schwellen und Übergänge – von Türen, Toren und Anfängen. Die Römer stellten ihn sich nicht als strahlenden Gott vor. Sondern eher als stillen Beobachter, der versteht, dass beides wichtig ist: das, was hinter uns liegt, und das, was auf uns zukommt.
Wenn Erfahrung neue Wege weist
In unserer Welt ist das Rückwärtsblicken oft unbeliebt. «Schau nach vorn!», heisst es schnell, «Lass los!». Aber Janus würde wohl den Kopf schütteln. Er weiss: Wer nur nach vorn starrt, verliert den Zusammenhang. Das Vergangene gehört zu uns, darunter das Unbequeme und Leidvolle. Es macht uns zu dem, was wir sind. Wir können ihm so oder so nicht ausweichen.
Vielleicht geht es beim Neujahr gar nicht so sehr ums Neubeginnen, sondern ums Verbinden. Dass wir, was war, mitnehmen in das, was kommt – bereichert durch unsere Erfahrung. Der Blick zurück sieht, was uns geprägt hat. Der Blick nach vorn die neuen Möglichkeiten.
Janus lehrt uns, Übergänge nicht zu überrennen. Eine Tür öffnet sich schliesslich erst, wenn wir kurz innehalten, die Hand auf die Klinke legen und entscheiden, hindurchzugehen. Am besten gelingt das mit Vertrauen und dem Glauben an das Gute.
Ich wünsche Ihnen immer wieder solche Janusmomente, nicht nur zu Beginn eines neuen Jahres: Dass Sie Vergangenes – auch Schweres – als hilfreiche Erfahrung in das Kommende mitnehmen und stets das Vertrauen und den Glauben an das Gute behalten können. Vergessen Sie nicht: Gott ist immer an Ihrer Seite!
Andres Lienhard, Pfarreiseelsorger Ebikon